STILLEN kann man lernen !!!

1982 wurde unser erster Sohn Christian geboren. Ich suchte mir die einzige Klinik im Umkreis aus, die sanfte Entbindungen angeboten hatte. Der leitende Chefarzt Dr. Hans Schales (heute bekannt als Arzt im St. Luke’s Missionskrankenhaus Simbabwe/ Afrika) vermittelte mir, dass diese Art der Entbindung für ein Kind der schönste und natürlichste Start ins Leben ist. Das war genau das, was ich wollte. Natürlichkeit! 

Es war für mich selbstverständlich, dass ich der Natur freien Lauf lassen wollte und ich habe darauf vertraut, dass die sanfte Geburt und alles was mit meinem Baby zu tun hat auch zu meiner Zufriedenheit funktioniert. Wir durften tatsächlich eine wunderschöne und sanfte Geburt erleben.

Allerdings habe ich mich – was in dieser Zeit normal war – vor der Geburt nicht mit dem Thema Stillen beschäftigt. Im Geburtsvorbereitungskurs wurde auch nicht darüber gesprochen, aber für mich war von vorneherein klar, dass ich mein Kind stillen werde und ich hatte keinen Gedanken daran verschwendet, dass es Schwierigkeiten geben könnte.

Schon im Kreissaal hatten Christian und ich die Möglichkeit unsere ersten zarten Stillversuche miteinander zu erleben. Obwohl ich „Rooming in“ machte, war es auch in dieser fortschrittlichen Klinik noch normal, dass die Kinder die Nacht im Kinderzimmer verbrachten. Christian wurde mir nachts zum Stillen wieder gebracht. Tagsüber war er ständig in meinem Bett und ich legte ihn jedes Mal an, wenn er danach verlangte.

Da mich niemand darauf aufmerksam machte, wie ich das Kind richtig anlegen sollte, hatte ich wohl eine unkorrekte Stillhaltung. Noch in der Klinik bekam ich wunde und schmerzende Brustwarzen, die ich mit einer Salbe behandelte. Dr. Schales meinte, dass das nur ein vorübergehender Zustand sei, der sich bald wieder bessern würde. In der Hoffnung, dass dies tatsächlich nur Anfangsschwierigkeiten sind, “biss ich die Zähne zusammen” und stillte tapfer weiter. Tatsächlich besserten sich meine Beschwerden im Laufe der Zeit und ich hoffte darauf, dass nun alles prima weiterläuft. Christian hat ausreichend zugenommen und wir wurden acht Tage nach der Geburt aus der Klinik entlassen.

Die ersten Wochen verliefen prima, obwohl die wunden Brustwarzen nie gänzlich abgeheilt waren. Nach einigen Wochen wollte mein Baby ständig gestillt werden. Ich hatte bis zu diesem Zeitpunkt noch nichts von einem eintretenden Wachstumsschub gehört und war sehr verzweifelt, da ich annahm, meine Milch reicht nicht mehr und daran sei nichts zu ändern.

Nun fing das Chaos an!

Anstatt mich an Dr. Schales zu wenden, habe ich bei Familienmitgliedern und Freundinnen um Rat gefragt. Leider waren dies genau die falschen Personen. Aus Unwissenheit redete meine Mutter mir ein, es wäre zu erwarten gewesen, dass ich nicht lange stillen kann, da dies „in der Familie liegt“ und sie ebenfalls für keines ihrer vier Kinder ausreichend Muttermilch hatte. Außerdem hätte ich viel zu kleine Brüste, daran könnte das Kind ja gar nicht satt werden.

Die Stillbeziehung meiner Schwester war einige Jahre vorher bereits beim ersten Kind gescheitert; das zweite Kind wurde daher von Geburt an mit Industrienahrung ernährt. Also war auch sie die falsche Ansprechpartnerin. Eine Freundin warnte mich vor einer Brustentzündung, die darin enden würde, dass meine Brust aufgeschnitten werden muss. Mein Mann, der selbst stolz erzählte, dass er bis ins Kleinkindalter gestillt wurde, konnte mir trotzdem keine Unterstützung bieten, da er sehr darunter litt, dass ich nur unter Schmerzen stillte und unser Kind nun auch zunehmend unzufriedener wurde. Meine Schwiegermutter, die sechs Kinder gestillt hatte, war leider bereits verstorben; ihre Stillerfahrung wäre mir sicher sehr hilfreich gewesen.

Ich kämpfte mich alleine durch und fühlte mich elendig. Aber ich wollte mein Ziel, längere Zeit voll zu stillen erreichen. Durch häufigeres Anlegen konnte ich meine Milchbildung steigern und hatte nun wieder die Hoffnung, dass jetzt alles gut laufen wird.

Zu diesem Zeitpunkt hatte ich privaten Kontakt zu unserem Hausarzt, der sich immer rührend und kompetent um mich bemühte. Als er erfuhr, dass ich so sehr unter den Stillproblemen litt, riet er mir zum Abstillen. Ich telefonierte erneut mit meiner Schwester, um moralische Unterstützung zum Weiterstillen zu bekommen. Diese konnte sie mir jedoch nicht geben. Stattdessen riet sie mir aufgrund meiner Probleme dringend zu Abstilltabletten, da man ihr nach der Geburt ihrer Tochter diese Tabletten verordnete und ihr erklärte, diese Medikation sei ein absolutes Muss, wenn man abstillt.

In meiner Verzweiflung rief ich samstags morgens in einer Apotheke meines neuen Heimatortes an. Ich erhoffte eine kompetente und aufmunternde Auskunft. Stattdessen verlief das Gespräch derart deprimierend, dass ich heulend und verzweifelt den Hörer auflegte. (Frau Apothekerin rief ihrem Mann zu: „Da ist Eine am Telefon, die von mir wissen will, ob sie stillen soll oder nicht!“) Abstilltabletten hatten sich auf der Stelle als überflüssig erwiesen. Aufgrund dieser Enttäuschung stellte mein Körper die Milchproduktion sofort von selbst ein. Nie hätte ich vorher vermutet, dass die Fähigkeit zu stillen so sehr von der psychischen Verfassung abhängt. Es war für mich sehr schwierig zu akzeptieren, dass ich mein Kind ab diesem Zeitpunkt mit Pulvernahrung ernähren musste. Die innige Verbindung, die ich beim Stillen so sehr genoss, fehlte mir derart, dass ich noch lange Zeit heftig darunter litt.

Als ich ein Jahr später mit unserem zweiten Kind schwanger war, habe ich mich eingehend mit dem Thema Stillen beschäftigt. Mir sollten die gleichen Fehler nicht mehr passieren. Ich hatte mir vorgenommen, mich sehr genau zu informieren, damit ich dieses Mal voll stillen kann – und zwar so lange wie mein Kind und ich es wollen. Durch Literatur und Befragen von älteren stillerfahrenen Frauen habe ich sehr viel Wissen zusammengetragen, sodass ich mich sicher fühlte, es nun richtig machen zu können.

Während dieser Schwangerschaft wurde Christian – unser erstes Kind – mit einer lebensgefährlichen Meningitis in die Kinderklinik eingeliefert. Dieser Schreck löste bei mir frühzeitige Wehen aus und ich wurde in eine nahe gelegene Entbindungsklinik eingewiesen. Ich kämpfte darum, trotzdem tagsüber bei unserem kranken Kind sein zu dürfen und der Chefarzt der Kinderklinik Professor Dr. Keuth setzte sich dafür ein, dass mir ein zusätzliches kostenloses Bett zur Verfügung stand. Von nun an durfte ich Christian aber nur noch im Beisein meines Mannes besuchen, da die Gefahr einer Frühgeburt drohte und die Kinderklinik keine Möglichkeit gehabt hätte, mich zu versorgen.

Im Laufe dieses Klinikaufenthaltes kam unser zweiter Sohn Matthias im Oktober 1983 in der städtischen Entbindungsklinik mit einem Geburtsgewicht von 2.400 Gramm zur Welt. Der Chefarzt der Entbindungsklinik ordnete an, dass unser Kind Zusatznahrung erhalten soll. In einer heftigen Diskussion konnte ich mich durchsetzen und verpflichtete mich, mehrmals am Tag die Wiegeergebnisse bekannt zu geben. Mein Baby hatte außerdem erhöhte Bilirubinwerte und seine Körpertemperatur fiel immer wieder ab. Also musste Matthias tagsüber viele Stunden im Inkubator liegen. Zum Stillen durfte ich ihn dann mit in mein Bett nehmen, das bereits mit einer Wärmflasche aufgewärmt war.

Zeitgleich mit Christian wurde ich fünf Tage nach der Entbindung mit dem neugeborenen Matthias als voll stillende Mutter entlassen. Ich war mächtig stolz, dass ich trotz der widrigen Umstände genug Milch hatte, um unseren Sohn, der drei Wochen zu früh zur Welt kam ausreichend mit Muttermilch ernähren zu können. Endlich zu Hause mit meinen zwei gesunden Kindern sollte nun einer glücklichen Stillbeziehung nichts mehr im Wege stehen.

Weit gefehlt! Nach drei Monaten erfassten mich starke Schmerzen im Leib und heftiges Fieber. Es wurde eine schwere Nierenbeckenentzündung bei mir diagnostiziert. Der gleiche Arzt, der mir bei Christian zum Abstillen riet, verordnete mir ein Antibiotikum und zeigte Verständnis dafür, dass ich ablehnte in ein Krankenhaus eingeliefert zu werden. Leider war weder er noch ich darüber informiert, dass es stillverträgliche Antibiotika gab. So erklärte ich mich bereit, Matthias während meiner Medikamenteneinnahme mit Fertignahrung zu versorgen. Meine Milchbildung habe ich in dieser Zeit mit einem alten Modell einer Ballon–Handmilchpumpe aufrecht erhalten und die mühsam abgepumpte Milch danach immer verworfen. Auch heute noch wundere ich mich darüber, dass die Milchbildung bei mir damals nicht rückläufig war.

Stolz bot ich meinem Sohn nach meiner Genesung wieder die Brust an. Er war jedoch mittlerweile die süße Fertignahrung aus der Flasche gewohnt und lehnte meine kostbare Milch ab. Nicht ahnend, dass auch diese Stillbeziehung zu retten gewesen wäre, fand ich mich ein zweites Mal damit ab, gescheitert zu sein. Lange Zeit hat mein Körper noch kleinste Mengen Muttermilch gebildet, was mir aber nie körperliche Probleme bereitete. Traurigkeit war das Einzige, was mich quälte.

Als ich 1989 mit dem dritten Kind schwanger war, habe ich mich abermals eingehend über Stillen und dieses Mal auch über mögliche Hindernisse informiert. Ich war sicher, dass ich mittlerweile wirklich sehr gut informiert war.

Mit Unterstützung von Dr. Schales und meiner Hebamme Carmen erlebte ich eine wunderbare Geburt und freute mich auf eine schöne Stillbeziehung.

Ich war überzeugt, dass mein Körper fähig war, genug Milch bilden zu können um mein Baby zu ernähren; ich wusste, wie man das Kind korrekt anlegt; ich wusste, was bei wunden Warzen und was bei Milchstau zu tun ist. Dass mich eine Brustentzündung auch bei einer länger andauernden Stillbeziehung treffen kann und wie damit umgegangen werden muss, war mir auch bekannt. Zwischenzeitlich war ich informiert, dass es mit der Auswahl des richtigen Mittels auch trotz Antibiotika-Einnahme möglich ist weiterzustillen.

Kritische Stimmen, die mir das Stillen wegen zu hoher Schadstoffbelastung ausreden wollten, konnte ich darüber aufklären, dass mein Kind mit Flaschennahrung wahrscheinlich höheren Belastungen ausgesetzt ist, da unser Leitungswasser nicht unbelastet ist und in Dosen und Deckeldichtungen sowie in Fläschchen ebenfalls schon Schadstoffe gefunden wurden. Mein Argument, dass ich das Kind vor Schadstoffen, die es über die Atemwege und über die Haut aufnimmt, leider auch nicht mehr schützen kann und ich ihm durch Nichtstillen außerdem auch noch die positiven Aspekte der Muttermilch vorenthalte, hat so manchen in meiner Umgebung davon überzeugt, dass ich fundiertes Hintergrundwissen habe.

Dennoch schloss ich mich einer Stillgruppe in unserer Umgebung an und habe des Öfteren mit meiner damaligen Stillberaterin Anette telefoniert. Ich brauchte trotz allem ab und zu moralische Unterstützung, die sie mir immer wenn ich danach verlangte geben konnte. Dafür bin ihr heute noch sehr dankbar.

In dieser Stillbeziehung mit Dominic hatte ich mit einem Milchstau und einer Brustentzündung zu kämpfen. Die Tipps von Anette und meine Einstellung, dass jede veränderte Situation im Leben Schwierigkeiten mit sich bringen kann, halfen mir geduldig und ohne Panik entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, die dann dazu beigetragen haben, dass es mir schon bald besser ging. Eine Soorinfektion im Mund unseres Babys hat dazu geführt, dass ich mich ansteckte und meine Brustwarzen wieder wund wurden. Ich konnte mit einem Brustwarzenschoner, den ich zwischen den Stillmahlzeiten in den BH einlegte, rasche Besserung erreichen. Durch dieses Hilfsmittel kam ausreichend Luft an die Brustwarzen, wodurch die schnelle Abheilung möglich war. Ich litt von nun an auch nicht mehr unter den unangenehmen Berührungsschmerzen, da die Stilleinlagen bzw. mein BH zwischen den Stillmahlzeiten nicht mehr an meinen wunden Brustwarzen rieben. Um die Soorinfektion zum Abklingen zu bringen hatte ich außerdem parallel den Mund meines Babys und meine Brustwarze mit einer speziellen Salbe behandelt.

Als unser jüngster Sohn sechs Monate alt war, begann ich langsam damit, ihm Beikost anzubieten. Im Alter von etwa einem Jahr waren die Tischmahlzeiten die Regel und Stillmahlzeiten bekam er nur noch morgens und abends. Meine Brust war auch immer ein sicherer Zufluchtsort, wenn er getröstet werden wollte. Bei unvorhersehbaren Verschiebungen der Familienmahlzeiten war keine Eile geboten, da wir zum Überbrücken ohne Schwierigkeiten überall stillen konnten. Ich empfand es auch als sehr angenehm, kein Getränk für Dominic mitnehmen zu müssen, da er seinen Durst auch immer mit ein paar Schlückchen Muttermilch stillen konnte.

Während einer Salmonelleninfektion von Dominic im Alter von 14 Monaten konnte ich innerhalb kurzer Zeit wieder voll stillen, da ich ihn zum Trösten sehr häufig anlegte und verschiedene milchbildungsfördernde Maßnahmen ergriff. Auf diese Weise konnte ich verhindern, ihn mit der vom Arzt angeordneten Heilnahrung zu füttern.

Nach Abklingen der Beschwerden aß Dominic wieder normal am Familientisch mit und benötigte daher tagsüber auch keine Stillmahlzeiten mehr. Meine Milchmenge konnte ich mit Trinken von Salbeitee wieder reduzieren, wobei mir der zwischenzeitliche Milchüberschuss keine großen Probleme bereitete. Maßnahmen wie Ausstreichen, Kühlen und Hochbinden der Brüste brachten mir umgehend Erleichterung, wenn die Symptome der Überproduktion zu belastend wurden.

Mit diesem Kind konnte ich eine wunderschöne zweijährige Stillzeit genießen und die kritischen Ratgeber in meiner Umgebung waren erstaunt, dass ich doch Recht hatte. Sie hatten mittlerweile erkannt, wie bequem und praktisch, gesund und wunderschön Stillen für Mutter und Kind sein kann.

Als Dominic fünf Jahre alt war, absolvierte ich eine Ausbildung zur AFS-Stillberaterin und bin heute, sehr viele Jahre später immer noch glücklich mit dieser Entscheidung. Mittlerweile kann ich mit Stolz behaupten, dass durch meine Beratungen schon sehr viele Stillbeziehungen gerettet worden sind. Denn fundiertes Wissen über die Vielfalt von Stillproblemen und deren Lösung ist oftmals wichtig für eine gelungene Stillbeziehung.

Das Verständnis dafür, wie sich eine Mutter fühlt, die nicht genügend Kenntnisse und Kraft hat, alleine gegen Stillprobleme und kritische Stimmen anzukämpfen, hilft mir fast täglich mein Ehrenamt gerne, leicht und erfolgreich zu bewältigen.

Dora Schweitzer

Anmerkung der Redaktion:

Dora Schweitzer ist seit 1994 als ehrenamtliche Stillberaterin tätig und inzwischen erfolgreiche Autorin eines Ratgebers mit dem Titel “STILLEN”. Das Buch ist 2009 im Trias-Verlag (Medizinverlage Stuttgart) erschienen. Die zweite Auflage erscheint im April 2012. Nähere Angaben über die Autorin und erste Einblicke ins Buch erhalten Sie auf der (Still-)Website www.doraschweitzer.de.

Den Stillratgeber können Sie hier erwerben.

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